KunsTRaum

(Maria der Bär wurde wunderbar ausgestattet von Jule)

Über die Grenzen des Sagbaren und die Grenzen der Inklusion

„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.“ So lautet einer der berühmtesten Sätze des Philosophen Ludwig Wittgenstein in seinem Hauptwerk Tractatus logico-philosophicus von 1921. Und: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“.

Wer etwa an Depressionen leidet, kann das nachvollziehen. Es ist schwierig, oft unmöglich, das eigene Empfinden mit den Mitteln der Sprache auszudrücken. Was eine Kommunikation mit anderen nicht selten scheitern lässt: eine Depression lässt sich nicht einfach mit Worten beschreiben. Begriffe wie „völlige Leere“ oder „schwarzes Loch“ können dies nur unzureichend umschreiben, die Antriebslosigkeit und Apathie lassen sich sprachlich nur schwer darstellen. Das Leiden, der Schmerz, die fehlende Weltverbundenheit, der freie Fall ins Nichts – ihre sprachliche Vermittelbarkeit stösst an ihre Grenzen.

Die Grenzen des Sagbaren bedeuten aber immer auch die Grenzen von Inklusion. Wenn Inklusion allein an die Fähigkeit gebunden ist, sich sprachlich mitteilen zu können, sind davon alle diejenigen Menschen ausgeschlossen, denen dies nicht gelingt. Statt Inklusion also Exklusion. Inklusion ist zwingend an Partizipation gebunden. Und Partizipation basiert auf Diversität als Voraussetzung. Wenn Sprache ausschließt, müssen andere Ausdrucksmöglichkeiten gewährleistet sein, um Menschen Inklusion zu ermöglichen. Auch jenseits der Sprache.

Die deutsch-türkische Journalistin und Bloggerin Kübra Gümüşay beschreibt in ihrem jüngst erschienenen Buch „Sprache und Sein“ anschaulich, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Stereotypen machen unsere Welt und unsere Wahrnehmung klein und eng. Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Auch abstrakte Klassifikationen, wie sie in der Psychiatrie üblich sind, missachten jegliche Individualität und stellen damit ein Instrument struktureller Gewalt dar.

Sprache kann auch anders sein. Was eine analytische Sprache nicht leisten kann, kann manchmal Kunst ermöglichen: einen Ausdruck für das Unaussprechliche finden, die Innenwelt nach aussen sichtbar oder hörbar zu machen. Dem Holocaust-Überlebenden Paul Celan etwa – bekannt ist seine „Todesfuge“ – gelang es, mit einer poetischen Form etwas zu beschreiben, was eine sachliche Sprache so nicht hätte leisten können. Sie war ein Mittel, um seinen Traumata Ausdruck verleihen zu können. In einer Anschaulichkeit und Nachempfindbarkeit, die keine psychiatrische Diagnose je hätte erreichen können.

Aber oft reicht Sprache – in welcher Form auch immer – dazu nicht aus. Und viele Menschen finden nicht die Worte, um sich mitteilen zu können. Bilder können ein weiteres Mittel sein, um sich ausdrücken zu können. Bekannt ist die Prinzhorn-Sammlung, in der Kunstwerke von Menschen in psychiatrischer Behandlung gezeigt werden. Und ein grosses Feld ist natürlich die Musik: viele grosse Musikwerke entstanden in der Verarbeitung psychischen Leidens. Der Blues hat hier seine Wurzeln, er ist in diesem Sinne therapeutische Musik.

Hier liegen die Chancen von Kunst- und Musiktherapie, deren Bedeutung immer offensichtlicher wird. Um so bedauerlicher, dass die darin liegenden Möglichkeiten von den Krankenkassen immer noch nicht ausreichend erkannt werden und es sehr schwierig ist, eine solche Therapie bewilligt zu bekommen. In der Regel nur im Rahmen einer stationären Behandlung, ambulant fast nie. Denn was leistet Musik schon im Vergleich zu Psychopharmaka?

In der Geschichte der Menschheit spielte Musik dabei als therapeutisches Mittel seit Anbeginn eine wichtige Rolle, etwa im Rahmen schamanistischer Rituale. Der Klang von Trommeln und anderen perkussiven Instrumenten hatte seit Urzeiten eine zentrale Bedeutung im Kontext dieser frühen Behandlungsformen. Wo die Sprache nicht mehr ausreicht, kann ein Musikinstrument das Hilfsmittel und Bindeglied sein, mit dem diese inneren Gefühlswelten nach aussen transportiert werden können.

Wenn jemand ebenfalls das Bedürfnis hat, sich in irgendeiner Form ausdrücken zu möchten – ob als Gedicht, Bild, Musik oder was auch immer – und dies öffentlich machen will, ist hiermit herzlich eingeladen, dies einzuschicken: p.mast(at)seeletrifftwelt.de

Peter Mast