Mitteilung
Grundrechtereport 2024 – Vereinte Nationen zutiefst besorgt über die Situation von Behinderten in Deutschland
Am Mittwoch, den 22. Mai 2024, wurde in Berlin der neue Grundrechte-Report vorgestellt. Der „alternative Verfassungsschutzbericht“ dokumentiert in über vierzig Artikeln, wie „Gesetzgeber, Verwaltung und Behörden, aber auch Gerichte und Privatunternehmen die demokratischen und freiheitlichen Grundlagen unserer Gesellschaft gefährden“. (http://www.grundrechte-report.de/)
Unser Vereinsmitglied Claus Förster, der ebenfalls Vorstandsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte ist, berichtet für den Grundrechte-Report von der zweiten Staatenprüfung Deutschlands zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die im August 2023 in Genf stattfand und in dessen Folge sich der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ‚zutiefst besorgt‘ zeigte.
Vernichtend sei die Kritik gewesen, stellt Claus Förster fest. In den Abschließenden Bemerkungen werden Deutschland umfassende Maßnahmen zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen empfohlen (CRPD/C/DEU/CO/2-3). Der UN-Fachausschuss kritisierte insbesondere die unzureichende Umsetzung von Inklusion im gesamten Bildungssystem und in der Arbeitswelt; auch müsse die freie Wahl des Wohnortes statt einer Segregation in Heimen schnellstmöglich sichergestellt werden.
‚Zutiefst besorgt‘ zeigte sich der UN-Ausschuss im Weiteren über die anhaltende Ausübung von Zwang in Einrichtungen der Pflege, der Eingliederungshilfe, in psychiatrischen Kliniken und in der forensischen Psychiatrie. Für den Grundrechte-Report fasst Claus Förster noch einmal prägnant die verschiedenen, konkurrierenden Ansichten über die Auslegung von deutschem Grundgesetz und der UN-Behindertenrechtskonvention zusammen. Während das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weiterhin Zwangsbehandlungen mit der Schutzpflicht des Staates zu legitimeren sucht, empfiehlt der Ausschuss ausdrücklich die Abschaffung aller Formen von ersetzender Entscheidung.
Es sei bekannt, schreibt Förster, dass die Praxis, Menschen in Krisen Zwangsmaßnahmen wie Fixierungen und Zwangsmedikation auszusetzen, in Wirklichkeit oft die Folge personeller Engpässe sei und zudem die erhebliche Traumatisierungsgefahr für die Betroffenen schlichtweg ausblendet werde. Dies widerspreche eindeutig der Menschenwürde. Die Ausübung von Zwang müsse durch ein System der unterstützten Entscheidungsfindung verhindert werden.
Als Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit psychosozialen Behinderungen unterstreicht der Verein Kellerkinder e. V. Försters Forderung nach einer völkerrechtsfreundlichen Grundgesetzauslegung. Niemand dürfe aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden, heißt es in Artikel 3 Absatz 3 des deutschen Grundgesetzes. Die vom UN–Ausschuss erneut aufgezeigte Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen muss endlich anerkannt und schnellstmöglich beendet werden.
Förster, Claus: Vereinte Nationen zutiefst besorgt über die Situation von Behinderten in Deutschland. In: Auer, Peter von u.a. (Hg.): Grundrechte-Report 2024. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland. Frankfurt am Main 2024, S. 86–90.
Weitere Informationen
Eine Leseprobe des Grundrechte-Reports bietet der S. Fischer-Verlag an:
https://www.fischerverlage.de/buch/grundrechte-report-2024-9783596710843
Anlässlich der Staatenprüfung haben sowohl das „Bündnis deutscher Nichtregierungsorganisationen zur UN-Behindertenrechtskonvention“ als auch das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ jeweils einen „Parallelbericht“ zur Umsetzung der UN-BRK veröffentlicht. Claus Förster hat die relevanten Stellen zur Situation von Menschen mit psychosozialen Behinderungen auf der Webseite des Kellerkinder-Projekts „Menschenrechte in Aktion“ dokumentiert: http://menschenrechte-in-aktion.de/parallelberichte-2023/
Siehe auch
Stellungnahme, April 2024: Gegen die Ausweitung des Zwangs: Stellungnahme zu außerstationären ärztlichen Zwangsmaßnahmen
Positionspapier, Januar 2024: Positionspapier – Ambulanter Zwang bedeutet einen unerträglichen Rückschritt auf dem Weg zu einer menschenrechtskonformen Unterstützung